Den ehemaligen VW-Profi Jochi Kleint führte er 1987 zum Sieg bei der ADAC Rallye Deutschland und wiederholte seinen Triumph 1992 mit Erwin Weber im Mitsubishi. Im Interview spricht der 50-jährige Wahl-Monegasse über das Beifahrer-Dasein damals und heute.
Wie wichtig war zu Ihrer Zeit die Rolle des Co-Piloten?
"Wir waren stärker in Entscheidungen eingebunden. Heute wird leider zu wenig Wert auf die Aussagen der Fahrer und Beifahrer gelegt. Ein Auto wird aus rein technischen Vorgaben entwickelt und die Sportler müssen sehen, wie sie damit zurechtkommen. Das betrifft vor allem jüngere Piloten und Co-Piloten, die noch keine Erfolge vorzuweisen haben und denen daher weniger Mitspracherecht zugestanden wird. Der Erfolg kann sich aber nur einstellen, wenn ausnahmslos alle wie ein Team agieren."
Gab es früher sportlich gesehen mehr Freiheiten?
"Teilweise ja. Ein gutes Beispiel ist die belgische Rallye Ypern. Dort bin ich 1992 als Co-Pilot gestartet. Es waren damals recht wilde Zeiten und die Veranstaltung dauerte 24 Stunden. Damals war das Training noch frei, so dass wir sogar nachts mit Wettbewerbsfahrzeugen auf öffentlichen Straßen trainiert haben. Die Straßen waren nicht gesperrt, aber die Einwohner der Region wussten Bescheid und haben uns sogar mit Zipfelmütze und Schlafanzug von ihren Häusern aus zugejubelt. Das gute war zudem, dass wir im Wettbewerbstempo fahren konnten. Heute darf ein Rallye-Team ja nur noch mit einer Maximalgeschwindigkeit von 80 km/h trainieren - da kann man sich als Co-Pilot nur vorstellen, wie schnell man später im Wettbewerb tatsächlich über die Kuppe fliegt oder um die Kurve fährt. Für den Aufschrieb ist das nicht unbedingt hilfreich."
Herr Hiemer, wie haben sich Co-Piloten früher auf eine Rallye vorbereitet?
"Mit einer Recce - so wie heute. Jedoch gab es noch zahlreiche kombinierte Veranstaltungen, bei denen 50 Prozent auf Orientierung gefahren wurde. Diese Strecken waren geheim und wir haben damals erst eine halbe Stunde vor dem Start die Unterlagen bekommen, anhand derer ich den Weg einzeichnen und später navigieren musste."
Wie haben Sie früher von der Position Ihrer Mitstreiter erfahren?
"Wir mussten uns untereinander die Zeiten im Servicepark mitteilen. Ein ungeschriebenes Gesetz der Beifahrer war Ehrlichkeit. Wer sich nicht daran hielt, wurde gemieden. Heute ist dieser Zusammenhalt größtenteils verloren gegangen, weil die Zwischenzeiten per GPS auf einen Bordcomputer ins Cockpit übermittelt werden. Die Teams sind immer auf dem aktuellsten Stand, sogar mit Zwischenständen in den laufenden Wertungsprüfungen weiß man, ob man attackieren muss oder ob der Speed genügt. Und man muss sich nicht mehr austauschen."
Anhand welcher Kriterien wurde früher entschieden, ob ein Team Regen- oder Trockenreifen aufzieht?
"Wir mussten früher höher pokern. Es gab noch keine Wetterspione, die uns ständig die aktuelle Lage vom Servicepark ins Auto übermittelt haben. Stattdessen mussten wir immer wieder neu entscheiden, welche Reifenmischung wir für die kommenden Prüfungen verwenden wollen. Da stand man zum Beispiel auf einem Berg und sah plötzlich eine riesige Wolkenfront heraufziehen. Wann sie uns erreichen würde und ob es dann auch tatsächlich regnen würde, das konnten wir nur raten. Die Reifenwahl war ein echtes Pokerspiel. Aber auch heute können sich Fahrer und Beifahrer nie hundertprozentig auf die Vorhersagen verlassen. Das macht es ja so spannend."
Sie haben 2004 in Großbritannien Ihre letzte Rallye als aktiver Co-Pilot bestritten. Was machen Sie heute?
"Ich habe 2011 als Unternehmer die e-mocom AG
gegründet, die sich auf elektrische Mobilität konzentriert."
Sehen Sie Elektrofahrzeuge zukünftig auch im Rallyesport?
"Noch nicht. Die Distanzen sind zu groß. Aber im Bergrennsport sehe ich durchaus Möglichkeiten, mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen zu starten. Durch ihr geringes Gewicht und den leichten Akku schaffen sie locker zehn Kilometer-Distanzen."
Die technischen Entwicklungen im Rallyesport sind mittlerweile sehr weit fortgeschritten. Geht es zukünftig auch ohne Beifahrer?
"Nein. Denn Beifahrer sind immer auch Psychologen. Wenn ich meinen Fahrer antreiben will, dann schreie ich ihn an, wie in der Kaserne. (lacht) Wenn ich das Gefühl habe, er ist zu schnell, dann hole ich ihn mit sanften Tönen wieder runter. Ein Computer kann nicht beurteilen ob ein Fahrer zu aggressiv fährt, oder ob er gepusht werden muss. Das kann nur ein Mensch."