Wenn Michelle Halder die Augen schließt, erlebt sie diese goldenen Momente immer wieder. Dann ist sie wieder in ihrem Cupra TCR auf der Rennstrecke in Most, und die letzte Runde hat gerade begonnen. Jetzt bloß keinen Fehler machen, noch einmal eine konzentrierte Runde hinlegen! Doch Michelle Halder beweist Nervenstärke. Wenig später ist die 18-Jährige die erste Frau, die in der Geschichte der ADAC TCR Germany aufs Podium fährt. Nur Petr Fulin war in diesem Rennen schneller, doch als Gaststarter wird der Tscheche außerhalb der Wertung geführt - Halder schnappte sich also die 40 Punkte und krönte ihr starkes Rennwochenende in der ADAC TCR Germany.
"Es war ein sensationelles Gefühl, da oben auf dem Podium zu stehen. Es sind so viele Leute und Fahrer zu mir gekommen und haben mich gelobt, mir Respekt gezollt und gratuliert", sagt die 18-Jährige mit Blick auf ihr persönliches Highlight Ende April in Tschechien: "Es hat alles gepasst, und es war ein ganz besonderes Wochenende. Vor allem, weil ich davor so selten im Tourenwagen gewesen bin - es war ein tolles Erlebnis und ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist."
Zu den Gratulanten zählte natürlich auch ihr Bruder Mike, der in seinem dritten Jahr in der Tourenwagenserie des ADAC um den Titel kämpft. "Er gibt mir immer Tipps, ich fahre ja mit seinem alten Auto. Da kennt Mike jede Schraube, jede Einstellung - einfach alles", sagt Michelle Halder: "Er unterstützt mich, wo es nur geht. Wir als Familie halten einfach immer zusammen."
So war es bereits, als Michelle Halder noch in der ADAC Formel 4 fuhr, und so ist es auch heute, wenn sich Bruder und Schwester als Konkurrenten auf den Rennstrecken der ADAC TCR Germany gegenüberstehen. Bald geht es wieder zur Sache. Vom 8. bis 10. Juni macht die Tourenwagenserie des ADAC in Österreich Halt, auf dem Red Bull Ring stehen dann die Saisonrennen fünf und sechs an. Und obwohl Michelle Halder bereits bewiesen hat, dass sie aufs Podium fahren kann, macht sie sich keinen zusätzlichen Druck.
Wieso auch? "Natürlich versuche ich dort weiterzumachen, wo ich in Most aufgehört habe", sagt die Meßkirchnerin zwar: "Ich kenne die Strecke von meiner Zeit in der ADAC Formel 4 und mag sie auch gerne, aber mit dem Tourenwagen war ich hier noch nicht unterwegs." Das hält Halder aber nicht davon ab, mit Zuversicht in die Rennen zu gehen. "Ich setze alles daran, dass ich die Honda Rookie Challenge gewinne", sagt sie. In dieser Nachwuchswertung, deren Sieger am Ende der Saison einen neuen Honda Civic erhält, belegt Michelle Halder mit 19,5 Punkten derzeit Rang drei. Die beiden vor ihr platzierten Luke Wankmüller (21 Punkte) und Max Hesse (23,5) sind aber in Schlagdistanz. "Toll wäre es, wenn Mike den Meistertitel holt und ich bester Rookie werde", sagt Halder lachend: "Die beiden Halders an der Spitze, das wäre schon toll."
Ihre Leidenschaft für Motorsport hat Michelle Halder schon früh entdeckt. Natürlich durch ihren großen Bruder Mike. "Wir waren als Familie oft auf der Kartbahn oder Rennstrecken. Ich bin zwar anfangs nicht gefahren, aber ich habe Mike immer beobachtet und mir bei ihm Dinge abgeschaut", berichtet sie. Als Michelle acht Jahre alt ist, steigt sie selbst ein. Im Kartsport sammelte sie schnelle erste Erfolge. Später wechselte sie in den Formelsport und fuhr 2015 und 2016 in der ADAC Formel 4, ehe sie im vergangenen Jahr den Umstieg in den Tourenwagensport wagte. Ein Schritt, der sich ausgezahlt hat - der aber eher dem Zufall geschuldet ist. "Mike hat damals ein neues Auto bekommen, und sein alter Wagen stand dann dort rum", erzählt sie: "Also haben wir uns gedacht - wieso nicht einfach einmal ausprobieren?"
Wenn Michelle Halder nicht auf den Rennstrecken dieser Welt ist, treibt sie viel Sport, geht ins Fitnessstudio oder nimmt sich Zeit, ihre Freunde zu treffen. Und da wäre noch ihre Ausbildung zur Mediengestalterin, für die nun die praktische Prüfung ansteht. "Es ist immer etwas los, ich habe keine Zeit für Urlaub", sagt sie grinsend: "Aber das ist egal, Motorsport ist meine Leidenschaft. Mir macht es unheimlich viel Spaß. Und dann ist es natürlich umso schöner, wenn es so gut läuft wie jüngst in Most."