Ein Yamaha Zest 50 Roller von 1996, repariert nach den Richtlinien der Charta von Turin? Das mag anachronistisch erscheinen. Es ist aber tägliche Realität beim Oldtimerhobby, dass eine ansonsten wirtschaftlich nicht sinnvolle Instandsetzung durch den ideellen Wert eines Fahrzeuges aufgewogen wird. So auch hier beim ADAC Jugendclub-Roller. Dessen Marktwert ist vermutlich kaum vierstellig, seine Geschichte macht ihn aber für den ADAC zu einem wertvollen Artefakt. Angelegt wurden bei der Instandsetzung die Maßstäbe der Charta von Turin. Sie wurde 2012 von der FIVA, dem Weltverband der Oldtimerclubs, verabschiedet, um Leitlinien zur Behandlung von historischen Fahrzeugen, die über 30 Jahre alt sind, zu schaffen. Die Charta unterstützt die Anerkennung von mobilem Kulturgut durch die UNESCO. Dass diese Leitlinien auch für jüngere Fahrzeuge, die der Nachwelt bewahrt werden sollen, anwendbar sind, zeigt dieses Projekt. Dafür wurde die Geschichte des Rollers nahezu lückenlos recherchiert und die ausgeführten Arbeiten sorgfältig dokumentiert. Geschaffen wurde der Roller einst für ein Jugendprojekt und junge Leute der Berufsschule in Weiterstadt haben den Roller auch heute nach über 20 Jahren, wieder in den gewünschten Zustand gebracht.
Zur Historie
1996 wurde der ADAC 15/17 Jugendclub gegründet, um ein Angebot für Jugendliche ab 15 Jahren, bis zum Erreichen des Mindestalters für den Auto- bzw. Motorradführerschein, zu schaffen. Als Erkennungszeichen des Jugendclubs wurde ein von Yamaha Deutschland zur Verfügung gestellter Roller zur Gestaltung dem Lackkünstler Walter Maurer übergeben. Maurer hat die Lackteile in einem aufwendigen, frisch und dynamisch wirkenden Design lackiert. Die rohen, schwarzen Plastikteile wurden von einem heute nicht mehr identifizierbaren Betrieb gelb lackiert, um den Bogen zum ADAC zu schlagen. Auf den gelben Teilen haben sich dann diverse Persönlichkeiten per Autogrammu verewigt, u. a. die mehrfache Gewinnerin der Damenwertung der Rallye-Welt- und Europameisterschaft, Isolde Holderied.
In der Folge wurde der Motorroller auf verschiedenen Messen und Ausstellungen gezeigt, um auf den ADAC 15/17 Jugendclub aufmerksam zu machen. So zierte der Roller beispielsweise den ADAC Stand auf der IFMA 1998. Nach der Umwandlung des ADAC 15/17 Jugendclub in den virtuellen ADAC Jugendclub ADAC DRIVE, wurde der Motorroller anschließend an verschiedenen Stellen in der ehemaligen Zentrale des ADAC, Am Westpark 8, ausgestellt. Aufgrund des Umzugs der ADAC Hauptverwaltung 2011 in den Neubau an der Hansastraße 19 in München, wurde der Roller für Werbezwecke an eine Werbeagentur verliehen und er tauchte erst 2018 wieder auf und kam in die Sammlung von ADAC Klassik.
Die Wiederherstellung
Das bedauernswerte Gerät wurde seit 2011 ganz offenbar nicht mit Zuneigung überhäuft. Mehrere Teile waren verkratzt, abgesplittert oder eingerissen. Spuren einer rüde Behandlung. Alle gelb lackierten Teile zeigten teils großflächige Lackabplatzungen. Eine partielle Lackreparatur war dadurch unmöglich. Rundum beschädigt, nicht fahrbereit, ohne Schlüssel und Papiere war der Roller praktisch wertlos. Jegliche Instandsetzung hätte den Zeitwert kostenmäßig weit überschritten. Schon 2017 fand das erste Treffen von ADAC Klassik und Glasurit in Rahmen der FIVA-Partnerschaft statt und schnell entstand die Idee, ein Fahrzeug der ADAC Sammlung für ein gemeinsames Restaurierungsprojekt zu nutzen. Im Januar 2019 stand der Roller dann zur ersten Besichtigung und Bestandsaufnahme bereit. Es wurde vereinbart, den Roller im Sinne der Charta von Turin wiederherzustellen.
Bei Glasurit in Münster begann die Suche nach der Ursache der Lackabplatzungen. Es wurde im oberflächen-analytischen Labor festgestellt, dass kein geeigneter Haftvermittler verwendet wurde. Der Lackaufbau bestand aus drei Schichten, es wurde kein Elastifizierungszusatz beigegeben, und der Untergrund wurde nicht angeschliffen. Die Bestimmung der Kunststoffart mit Hilfe der ATR-IR-Spektroskopie ergab, dass es sich um PP/ EPDM handelt. Das ist ein mit korrekter Untergrundvorbehandlung und einem korrekten Lackaufbau, lackierbarer Kunststoff. Anhand eines entnommenen Lackmusters arbeitete Glasurit den Farbton aus. Die perfekte Passgenauigkeit erzielten die Experten des Farbtonlabors mit einem Grundlack und einem darauffolgenden gelben Uni-Decklack.
Im Mai 2019 kam es zum Treffen mit Walter Maurer in dessen Werkstatt im ehemaligen Luftwaffenstützpunkt in Fürstenfeldbruck. Glücklicherweise zeigte sich, dass die einzige Schadstelle, der von Walter Maurer designten Teile in einem unifarbenen Bereich lag und dadurch relativ einfach zu reparieren war. Er war sofort bereit, sein Werk wieder instand zu setzen und sorgte dafür, dass die Reparaturstelle heute so gut wie unsichtbar ist. Parallel erfolgte die Beschaffung der teils mit vielen Unterschriften signierten Plastikteile als Neuteil. Beim Trittbrett war die Suche leider nicht von Erfolg gekrönt. Bei der Tachoverkleidung, auf der einige schwer entzifferbare Unterschriften erkennbar sind, aber glücklicherweise schon. Dadurch bleibt die Chance gewahrt, einige Unterschriften, die nur noch schattenhaft erkennbar sind und sich auch kaum fotografieren lassen, zu bewahren und evtl. doch noch zu identifizieren. Im Idealfall könnten die Personen von damals dann den instandgesetzten Roller mit ihren Unterschriften vervollständigen.
In Weiterstadt machten sich die Ausbilder Mariusz Dechnig und sein Kollege Andrew Duffy ein Bild von den angelieferten Teilen. Es war klar, dass es ein Schüler-Lehrprojekt werden sollte. Luca Ebach, Amirali Nazari und Nassan Bozan führten die Arbeiten mit großem Enthusiasmus mit Unterstützung von Johanna Kaiser, der World Skills- Teilnehmerin der Weltmeisterschaft 2019 im russischen Kasan, durch. Die Beurteilung der Schäden war eindeutig. Es war 1996 sicher nicht die Intention der Lackierer, dass der Lackaufbau derart abplatzt – also entschied man sich für Entlacken und neu lackieren. Die Konturen der schwarzen Tropfen oder Tränen wurden mit Fotos dokumentiert, die Position empirisch festgelegt und auf einer Schablone exakt festgehalten. Die Entlackung war mit einem Hochdruckreiniger sehr schnell erledigt. Nach der rückstandsfreien Reinigung wurden die Teile mit einem Bunsenbrenner beflammt, um einerseits die Haftung zu verbessern und andererseits diese nur selten eingesetzten Methode der Oberflächenbehandlung zu schulen.
Als nächster Schritt erfolgte die Erstellung eines Farbmusters anhand der von Glasurit ausgearbeiteten Mischformel. Die schwarzen Tropfen sind dann genau vektorisiert worden. Schablonen, die für die Vorzeichnung notwendig waren, wurden geplottet. Doch damit nicht genug: Die Struktur der Tropfen wies auf eine Streichverarbeitung hin. Also wurde getestet, wie die Struktur des 2K-Decklacks dem Original am nächsten kommt. Lackieren, Freihand-Technik beim Streichen mit Schablone, ein Mix aus beidem oder – wie damals – Freihand-Streichtechnik. Das Ergebnis war: Wie damals. Mit 2K HS-Decklack, gemischt mit konzentriertem Härter für eine gut streichbare Viskosität, ist das kein Problem. Fünf Prozent des Glasurit Streich- und Rollzusatzes sorgten für die Entschäumung der auftretenden Blasen beim Streichen und zeigten nach Trocknung die typischen und hier gewollten Pinselriefen. Diese Materialeinstellung eignet sich besonders für schwierig zugängliche Stellen.
Zwischenzeitlich ist der Roller wieder komplettiert und sieht genau so aus wie 1996. Perfekte Übereinstimmung beim Farbton und der Oberflächenstruktur der Tropfen. Besser geht’s nicht. Dieses Beispiel zeigt anschaulich die Faszination des Lackierberufes und welche fachliche Qualifikation bei der Lack-Instandsetzung, Reparatur oder Restaurierung historischer Fahrzeuge notwendig ist. Könnte der Motorroller reden, wäre er sicher eins der glücklichsten Wesen des Planeten, denn mit dieser fulminanten Wiederkehr hätte er wohl nicht gerechnet.