Wenn man das MotoGP-Engagement von KTM im Zeitraffer sieht, hat es zwar eine stetige Entwicklung gegeben, der Sieg von Brad Binder in Brünn verblüfft dennoch. Die Kernprobleme lagen immer in der Traktion und der Gasannahme. In diesem Jahr ist den Oberösterreichern aber ein echter Sprung gelungen: Die Balance zwischen Leistung und Fahrbarkeit zu finden, stellt ja ein ständiges Feilschen dar. Der KTM hat das gewonnene Plus am Fahrwerk jedoch nichts an Power gekostet. Und sowohl in Jerez als auch in Brünn waren alle vier Motorräder sehr gut unterwegs.
Für den Red Bull Ring hat das Bike ohnehin perfekte Gene. Und es ist jetzt beherrschbarer, dosierbarer, benutzerfreundlicher. Mit den Zutaten der vielen Tests und der Beflügelung durch den Premierensieg in Tschechien sind die Mattighofner beim Großen Preis von Österreich für mich die Topfavoriten. Denn wenn es um den Bremspunkt geht, fürchtet Brad Binder weder Tod noch Teufel. Der Südafrikaner hat aus seiner Zeit in den unteren Klassen, wo er es nicht immer leicht hatte, sehr viel mitgenommen, auch über das Motorradfahren hinaus. Auch Pol Espargaro wird am Spielberg gefährlich, denn er ist natürlich enttäuscht. Jahrelang hat sich KTM im Kreis gedreht, und kaum ist das Motorrad so weit zu gewinnen, fährt ihm der Rookie davon.
Für Ducati könnten die zwei Rennen in Österreich richtungsweisend werden. Der Red Bull Ring ist ihre Paradestrecke, die letzte Bastion, seit der Rückkehr in den WM-Kalender 2016 sind sie in der Steiermark unbesiegt. Die 2020er-Maschine zeigt allerdings Schwächen. Der Kernpunkt des Scheiterns, der neue Hinterreifen, kommt andererseits am Spielberg nicht zum Tragen. Doch die für ein italienisches Team so wichtige Harmonie ist derzeit nicht ersichtlich, doch umgekehrt kann die Stimmung auch schnell wieder ins Positive kippen.
Während Andrea Dovizioso nicht in die Gänge kommt, läuft es bei Johann Zarco bestens. In Brünn war der Franzose neben Binder der Mann des Rennens. Wie gnadenlos er den aus meiner Sicht ungerechtfertigt verhängten Penalty gefahren ist, hat mich an einen Ballwechsel beim Tennis erinnert, der das ganze Match dreht. Zarco wirkt befreit, kann sich jetzt für das Werksteam empfehlen und 2021 vielleicht die Kastanien aus dem Feuer holen. Noch sitzt er auf der Ducati von 2019, die letztes Jahr in Österreich gewonnen hat.
Auch Yamaha würde ich am Red Bull Ring nicht als chancenlos bezeichnen. Man hat vor der Saison gewusst, dass etwas mit dem Motor geschehen muss. Resultat: In der Gesamtwertung belegt man nach drei Rennen die ersten drei Plätze. Fabio Quartararo bleibt für mich WM-Favorit, schon im Vorjahr hat er uns bei keinem Rennen enttäuscht. Maverick Vinales ist wiederum ein sehr sensibler Fahrer, der jederzeit mit Quartararo mitfahren kann, sich in Brünn aber schlicht mit dem Setup vergriffen hat. Und der in Tschechien so überzeugende Franco Morbidelli kann vielleicht von seinem Naheverhältnis zu Valentino Rossi profitieren.
Suzuki und Aprilia ist ebenfalls ein Sprung gelungen, sie wurden jedoch von Verletzungen gebremst. Und Honda? Sie verfügen über diesen Wahnsinnspfeil Marc Marquez, der tarnt und täuscht. Was er braucht, bekommt er - zulasten der anderen Fahrer, wie jetzt noch deutlicher erkennbar ist. Insgesamt ist das gesamte Feld wesentlich näher zusammengerückt. Wir erleben eine hochspannende Weltmeisterschaft, in der alle Fabrikate um den Sieg mitmischen können.
_Zur Person:
August "Gustl" Auinger ist die österreichische Motorrad-Legende schlechthin und Riding Coach des Red Bull Rookies Cup. In der MotoGP-Saison 2020 analysiert er als Experte für ServusTV die Rennen live aus der Boxengasse._