Der Regen am vergangenen Sonntag in Le Mans hat wieder einen Überraschungsfaktor ins Spiel gebracht, wie der Rennverlauf zeigt: Je niedriger die Temperaturen, desto konkurrenzfähiger ist Ducati. Und Hitzerennen werden wir heuer nicht mehr erleben. In Aragón, Valencia und Portimão wird es zwar vielleicht nicht nass, aber garantiert wieder kalt.
Und kaum kommt die Kälte, ändert sich das Gesicht der Ducati-Fahrer. Das geht ratzfatz! Der Hauptgrund liegt im Reifen. Die Michelin-Pneus sind an sich fantastisch, weil sie nicht nur ein einziges Motorrad-Layout bedienen. Die Schwierigkeit besteht bekanntlich darin, das ungemein enge Temperaturfenster zu treffen. Ducati hatte bisher mit zu heißen Reifen zu kämpfen, bei Kälte kommt man wesentlich besser zurecht. Danilo Petrucci war bei seinem Sieg in Le Mans so glücklich, dass er endlich wieder bremsen konnte. Andrea Dovizioso hat mit dem Soft-Reifen hingegen schlichtweg verwachselt.
Doch wer den Vizeweltmeister nicht auf der Rechnung hat, übersieht etwas Dramatisches. Freilich wirkt es oft so, als ob er den Kopf hängen lässt, wenn es nicht läuft und er jede Woche mit dem gleichen Problem konfrontiert ist. In der Garage ist das Klima nach der Kündigung sicher auch unterkühlt. Sobald Dovi aber merkt, dass doch nicht alles verloren ist, werden unheimliche Kräfte mobilisiert. Und in den letzten Jahren hat er sich wild gegen Márquez gewehrt.
Bei Suzuki passiert das genaue Gegenteil: Sie hatten bisher Probleme in der ersten Rennhälfte und sind dann immer besser geworden. Bei kühlem Wetter ist die Schlagkraft der Suzuki aber nicht mehr im selben Maß gegeben, weil der Reifen zu spät auf Temperatur kommt. Nichts mit der Rennentscheidung zu tun hatte in Frankreich Fabio Quartararo. Aber welche Yamaha war besser? Keine hat im Regen performt. Das kann am Setting liegen. Wenn die Abstimmung nicht passt, heißt es, nur nicht stürzen und die Punkte nehmen, die du kriegen kannst. So konnte Quartararo immerhin die WM-Führung retten.
Das für Aragón angekündigte Comeback von Marc Márquez musste wieder verschoben werden. Damit beschäftigt sich aber keiner seiner Konkurrenten. Wir wissen alle, dass Marc ein besonderer Fahrer mit besonderem Talent und besonderen Fähigkeiten ist. Ich wehre mich allerdings gegen Rückschlüsse, dass er mit seinem Paket heuer wieder der dominierende Mann gewesen wäre. Wir erinnern uns: Bei den Vorsaisontests hatte Honda große Sorgenfalten. Dann ist das Motorrad monatelang in der Garage gestanden. Und beim Auftakt in Jerez ist Márquez im Training gestürzt und musste nach einem irren Save im Rennen enormes Risiko eingehen, das er bitter bezahlt hat. Unendlich schade, denn er wäre als Referenz gut, die anderen sind aber auch nicht schlecht.
Mehr Beständigkeit wird es aber wohl weiterhin nicht geben, das Titelrennen dürfte bis zum Schluss offen bleiben. Die Ingenieure können die Daten bei diesen Bedingungen und dem extrem engen Kalender einfach nicht schlüssig auswerten. Denn beim nächsten Rennen ist wieder alles anders. Und die Sommerpause dauerte heuer de facto nur eine Woche, am zweiten Wochenende wurde wieder getestet. Erkenntnisse aus den Kälterennen? Vergiss es, da irgendetwas zu entwickeln. Das, was du hast, musst du nutzen und schauen, dass du es heimbringst. Nüchtern betrachtet haben daher alle Fahrer noch gute Karten. Wer bringt aber alle Faktoren auf den Punkt? Vorbei ist es erst, wenn die Zielflagge in Portimão fällt.
Zur Person
August "Gustl" Auinger ist die österreichische Motorrad-Legende schlechthin und Riding Coach des Red Bull Rookies Cup. In der MotoGP-Saison 2020 analysiert er als Experte für ServusTV die Rennen live aus der Boxengasse.