Als Riding Coach des Red Bull Rookies Cup freue ich mich irrsinnig über den ersten aus dieser Serie hervorgegangenen MotoGP-Weltmeister und, dass wir einen Mosaikstein dazu beitragen konnten. Der WM-Titel von Joan Mir zeigt, wie wichtig und gut der Rookies Cup ist. Es bedeutet mir viel, dass diese Wertigkeit auch präsentiert und quittiert wird.
Den Löwenanteil macht der Bursche aber natürlich selber. Wenn wir das Benzin sind, ist Mir der Motor. Er hat vieles in seiner Karriere richtig gemacht und seine Chancen genutzt, obwohl er sich immer wieder gegen Teamkollegen bestätigen musste, die man über ihn gestellt hat. Er geht ganz konsequent seinen Weg und hatte auch immer ein klares Bild, wie die Saison ablaufen soll. In unserem letzten Gespräch hat er mir verraten: "Gustl, der WM-Titel, ohne ein Rennen zu gewinnen, wäre furchtbar."
Suzuki ist für einen derartigen Karriereweg maßgeschneidert. Man hat ihn sogar zurückgehalten und gesagt, es sei gar nicht so wichtig, ob er gewinnt. Das Team gibt Alex Rins und Joan Mir die Möglichkeit, wichtige Erfahrungen zu sammeln und lässt die junge Generation die Entwicklung mitgestalten. Sehr viele Leute sind wahnsinnig schnell, aber diese Kombination von Fahrer und Technik hat einfach eine unglaubliche Konstanz an den Tag gelegt.
Bei Suzukis letztem WM-Titel durch Kenny Roberts jr. vor 20 Jahren war man noch eine Macht. Doch der Umstieg auf den Viertakter gelang nicht. Nach einem Schnitt hat die Führungsebene Ruhe bewahrt und dem Team das Vertrauen geschenkt, das bestmögliche Fahrwerk zu entwickeln. Und da sind gleich einmal vier, fünf Jahre weg. Maverick Viñales ist mit Suzuki schon fantastische Rennen gefahren, es gab aber immer Schwankungen, die man allerdings nie mit aggressiven Schritten versucht hat, auszubügeln. Der lange Atem hat sich ausgezahlt.
Dass dem neuen Weltmeister noch immer eine Poleposition fehlt, wird Joan Mir nicht stören. Mit dem Titelgewinn ist viel Druck abgefallen und er weiß, dass die Stärken des Motorrads in der Konstanz liegen, ab Rennmitte die Karten auszuspielen und nicht, im Qualifying über eine Runde Überirdisches zu produzieren.
Beim WM-Finale ist die MotoGP erstmals in Portimao zu Gast - eine für jeden Motorradfahrer fantastische Strecke mit vielen Kuppenpassagen. Diese Eigenschaften sprechen auch wieder für Suzuki. Und da Alex Rins in der Gesamtwertung nur vier Punkte hinter dem Zweiplatzierten Franco Morbidelli liegt, wäre es durchaus denkbar, dass Suzuki seine einzigen beiden Motorräder im Grid auf die Ränge eins und zwei im Endklassement bringt.
Yamaha, das als Vorbild für Suzuki diente, hat im Winter nach neuen Stärken, d.h. mehr Dampf im Kessel gesucht - mit dem Ergebnis, dass das Ding zerbrechlich ist. Und wenn Yamaha den Reifen nicht zum Arbeiten bringt, kann es furchtbar in die Hose gehen. Doch gerade Morbidelli ist derjenige, der für das Team immer wieder die Kastanien aus dem Feuer holt. Auch in Portugal?
KTM habe ich in der Algarve ebenfalls auf der Rechnung. Die Mattighofner kämpfen zwar auch mit dem Reifen, aber nicht im selben Ausmaß wie Yamaha, Ducati oder Honda. Und Pol Espargaró will seine KTM-Laufbahn unbedingt mit einem Sieg abschließen. Natürlich wünscht sich auch Miguel Oliveira nichts mehr, als in seiner Heimat zu gewinnen. Power wird in Portugal eher nicht das Thema sein, Ducati und Honda räume ich daher nur geringe Chancen ein. Doch andererseits: Was ist in dieser Saison schon in Stein gemeißelt?
Zur Person
August "Gustl" Auinger ist die österreichische Motorrad-Legende schlechthin und Riding Coach des Red Bull Rookies Cup. In der MotoGP-Saison 2020 analysiert er als Experte für ServusTV die Rennen live aus der Boxengasse.