Vor dem Großen Preis von Portugal spricht Gustl Auinger, MotoGP-Experte bei ServusTV, über die WM-Rückkehr von Marc Márquez auf dem fordernden Achterbahnkurs von Portimão.
Nun ist es endlich soweit: Marc Márquez kehrt auf die Rennstrecke zurück. Und trifft man diese Entscheidung in Einklang mit den Ärzten, können wir davon ausgehen, dass er in Portimão zu hundert Prozent fit sein wird. Schließlich ist er die letzten neun Monate nicht nur auf der Couch gelegen, sondern hat alle Möglichkeiten ausgeschöpft, sich bestmöglich vorzubereiten.
Aufgrund des Layouts eignet sich die Strecke an sich nicht unbedingt für ein Comeback. Meine Piloten vom Red Bull Rookies Cup waren in der Algarve mit ihren 55-PS-Motorrädern letzte Woche schon extrem gefordert. Da kann man sich vorstellen, wie es sich mit knapp 300 PS anfühlt. Aber Marc ist nicht wählerisch, er liebt solche Herausforderungen und würde selbst in Sibirien an den Start gehen, um wieder Rennen zu fahren.
Und ich wage blind zu prognostizieren, dass er schnellster Honda-Pilot sein wird. Auch für den Rennstall ist sein Comeback eine wichtige Standortbestimmung. Immerhin hat er die Entwicklung des Motorrades gelenkt und bestimmt. Das Bike ist ganz auf ihn hinkonstruiert. Ich bin auch überzeugt, dass Márquez dieselbe Rennhärte an den Tage legen wird wie eh und je. Er weiß genau, warum er in Jerez 2020 gestürzt ist und zieht seine Schlüsse daraus.
Ich sehe auch keinen Grund, warum der Spanier nach dem verpassten Doha-Doppel nicht Weltmeister werden könnte. Er würde ja nicht zum ersten Mal mit zwei Nullern den Titel holen. An den Spekulationen, was gewesen wäre, wenn er auch die gesamte letzte Saison hätte fahren können, möchte ich mich aber nicht beteiligen. Es gab ja von 2019 auf 2020 eine Veränderung im Reifentyp, die dazu führen kann, dass man heute gewinnt und morgen auf selber Strecke nur 17. wird. Und Márquez hatte letztes Jahr nicht nur in Jerez, sondern schon davor bei den Wintertests Probleme.
Die Karten werden in jeder Saison sowieso neu gemischt. Mit Suzuki rechne ich aber wieder fest. Ein in der Basis gesundes Motorrad zu bauen, das zwar nicht über enorme Power verfügt und auch nicht Nuancen über einzelne Runden oder Segmente schöpfen kann, dafür aber kalkulierbar ist, halte ich für eine schlaue Strategie. Auch in Katar war man gegen Rennende wieder da. Und dass Suzuki 2020 die WM gewonnen hat, lag nicht allein am braven und beständigen Joan Mir, sondern auch am einfachen Paket.
Die Strecke in Portimão müsste neben Suzuki vor allem Yamaha entgegenkommen, das sich stets auf die Fahrbarkeit besonnen und jetzt auch an Motorleistung gewonnen hat. Berg, Tal, rechts, links, dazu ein paar blinde Kurven – all das spricht für Yamaha. Um zu gewinnen, ist man inzwischen nicht mehr auf das Pech der anderen angewiesen.
Letztes Jahr lieferte Miguel Oliveira bei seinem Heimsieg eine sagenhafte Demonstration seiner Klasse ab. Daran wird KTM an diesem Wochenende gemessen werden. Im Wissen, dass Katar keine KTM-Strecke ist, haben die Oberösterreicher zu Saisonbeginn noch Ruhe bewahrt. Der Zeitabstand zwischen dem Ersten und dem 15. war dort ohnehin enger als je zuvor. Und die KTM-Ingenieure kennen die erfolgreiche Fahrwerkkonfiguration für Portimão.
Für Ducati wird es in Portugal wiederum entscheidend, wie sehr die Motorräder ihre Power auf die Strecke bringen. Den Italienern kommt zugute, dass sie am wenigsten unter dem Michelin-Reifen leiden. Und Jack Miller fuhr letztes Jahr immerhin auf Platz zwei. Allerdings fand damals in der Algarve das Saisonfinale statt, die wichtigen Entscheidungen waren bereits gefallen. Diesmal bildet das Rennen den Europa-Auftakt. Alle Fahrer sind hungrig, es beginnt wieder bei Null, die Herangehensweisen werden anders gelagert sein.
Unter dem Strich erwarte ich einen völlig offenen Rennausgang. Von den Voraussetzungen her müssten Yamaha und Suzuki vorne sein, allerdings kommen diese Hersteller mit dem Reifen weniger gut zurecht als Ducati. KTM reist indes mit der Erfahrung des überragenden Sieges 2020 nach Portimão an. Und letztlich bleibt noch die Frage, welche Rolle Marc Márquez spielen wird.
August „Gustl“ Auinger ist die österreichische Motorrad-Legende schlechthin und Riding Coach des Red Bull Rookies Cup. In der MotoGP-Saison 2021 analysiert er als Experte für ServusTV die Rennen live aus der Boxengasse.